Grußwort zur Fachtagung von pro familia „Sexuelle Kulturen – Sexuelle Bildung in Institutionen”

Sehr geehrte Frau Prof. Hahn,

sehr geehrte Frau Rufer,

sehr geehrte Frau Badura,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freundinnen und Freunde,

ich erlaube mir diese Anrede, da ich schon einige langjährige Bekannte und Freunde entdeckt habe.

Pro familia hat vor genau einem Jahr am 5.5.2012 ihren 60sten Geburtstag in Berlin gefeiert. Das Motto war Programm: Se(chs)x Dekaden mit Höhepunkten. – ich komme gleich darauf zurück.

Dabei hat sich der Verein „Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie“, der sich später umbenannte in die „Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung“ – und den alle in Deutschland als „pro familia“ kennen – am 23.12.1952 in Kassel gegründet.

Die Feier letztes Jahr in Berlin war also ein vorzeitiger Höhepunkt – was aber kein schlechtes Omen für pro familia sein muss – im Gegenteil. Denn mit vorzeitigen Höhenpunkten umzugehen, ist Teil ihres Geschäfts.

Eigentlich ist deshalb ihre heutige Veranstaltung über sexuelle Kulturen und über sexuelle Bildung auch eine Feierstunde ihres 60-jähringen Bestehens. Weshalb ich mich sehr für meine Einladung bedanke und Ihnen alles Gute zum Geburtstag und weitere Höhepunkte in der Zukunft wünsche.

Meine Damen und Herren,

ich bitte Sie um Nachsicht, aber für mich war pro familia früher als ich noch jünger war der Ort, „wo man den Schein bekommt“.

Und so verkürzt – so unzulässig verkürzt damit Ihr Wirken auch umschrieben ist – für viele Menschen, vor allem Frauen, aber auch Männer, vor allem junge Frauen, aber auch schon länger Verheiratete und Lebenserfahrene – ist pro familia die letzte Hilfe in größter Not, oder aber: das beste und fairste Beratungsangebot in Deutschland – und das ist nicht wenig.

Ich, meine Damen und Herren, war immer und bin bis heute für die ersatzlose Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Ich leugne nicht den Widerstreit höchster Werte – da die staatliche Pflicht zum Lebensschutz – dort die staatliche Pflicht zur Achtung menschlicher Selbstbestimmung. Aber ich war und bleibe bei meiner Auffassung, dass der Staat diesen Widerstreit nicht mit dem Strafrecht lösen sollte – nicht mit einem Instrument, mit dem das höchst mögliche moralisch-ethische Unwerturteil über Menschen ausgesprochen wird.

Die Lösung, mit der wir jetzt schon lange leben, ist halbscharig: straflose Rechtswidrigkeit. Und der Weg dahin führt über die Brücke der Pflicht- für manche Zwangsberatung. Solange wir aber die Rechtslage haben wie sie nun mal ist, ist pro familia unverzichtbar.

Hier bei Ihnen werden die betroffenen Frauen nicht subtil bedrängt und agitiert, sondern mit der so wichtigen Empathie für ihre Nöte beraten – und auch diejenigen, die schon entschlossen sind und – eigentlich keine Beratung brauchen und wollen, werden bei pro familia nicht abgewiesen und nicht bevormundet.

Aber es völlig richtig – pro familia nur auf die Schwangerschaftsberatung zu beschränken und nur als Durchgangsstation zur Abtreibung zu reduzieren – wäre ein schwerer Fehler.

Wer sich nur das Angebot der Münchner Beratungsstellen anschaut, dem eröffnet sich die ganze Breite ihres Arbeit:

– Partnerschaft und Sexualität
– Trennung und Scheidung
– Unerfüllte und erfüllbare Kinderwünsche
– Schwangerschaft und Geburt
– Frauen und Gesundheit
– Eltern und Kinder
– Sexualpädagogik – besonders in den Grundschulen
– und mit dem neuen Recht der gemeinsamen Sorge unverheirateter biologischer Eltern,  welches ab Mitte Mai gelten wird, kommt sicher viel weitere Beratungs- und viel Schlichtungsarbeit auf Sie zu!

Ich kann und will hier nicht alles aufzählen – dies und viel mehr decken Sie mit über 180 Beratungsstellen in ganz Deutschland ab.

Meine Damen und Herren,

Pro familia ist heute ein nicht wegzudenkender Teil der deutschen Zivilgesellschaft.

Sie sind staatsfern, parteienneutral, und religionsungebunden.

Aber Sie sind nicht wertfrei. Sie nehmen die Menschen als Subjekte an – fähig zu eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Entscheidungen. Befähigung ist ihnen wichtiger als Fürsorge, Selbstbestimmung ist das Ziel Ihrer Arbeit mit den Menschen.

Dabei umfassen die Themen Familienplanung, Beziehungsprobleme, Kinderwunsch und Schwangerschaft, Erziehungsfragen, persönliche Krisen und das Begreifen und Erleben von Sexualität – ja nicht das ganze menschliche Leben, aber einen gewaltigen Teil davon.

So sehr ich der Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger zustimme, die ihnen im 59 Jahr Ihres Bestehens zum 60sten Geburtstag schrieb:

Mit welchen Partnern Menschen ihr Leben gestalten möchten und wie sie ihre Sexualität ausleben, sind individuelle Entscheidungen, die nur den Betroffenen selbst etwas angehen und mit denen sich weder die Politik noch die Mehrheitsgesellschaft zu beschäftigen hat.

so sehr ist es richtig, dass pro familia keine unpolitische Sozialeinrichtung ist.

Ich will noch einmal die Ministerin zitieren:

pro familia hat sich in den letzten sechs Jahrzehnten in jede wichtige familienpolitische und gesellschaftliche Gleichstellungsdebatte eingebracht und gleichzeitig nie vergessen, dass Menschen soziale Beratung und Hilfe brauchen und keine moralisierende Bevormundung. Die Tatsache, dass Frauen heute selbstbestimmt über ihren Körper entscheiden können und gleichgeschlechtliche Beziehungen gesellschaftlich akzeptiert und rechtlich weitestgehend gleichgestellt sind, verdanken die Betroffenen auch dem leidenschaftlichen Einsatz von pro familia.

Meine Damen Herren,

als Rechtspolitiker, der ihre Grundüberzeugung von der Selbstbestimmung der Menschen teilt, wünsche ich mir, dass sich pro familia auch in Zukunft laut und mit überzeugenden Argumenten in die gesellschaftliche Debatte einbringt.

  • Heute geht es um die völlige rechtliche Gleichstellung aller Verantwortung tragender Beziehungen.
  • Es geht um Regelungen für die soziale Elternschaft, die mit den Regenbogen- und Patchworkfamilien immer wichtiger werden.
  • Es geht auch in Zukunft um das Recht, keine Kinder zu bekommen, wie auch um das Recht auf Kinder.
  • Der Schutz von Kindern und Jugendlichen – aber auch alter Menschen und  Behinderter – gegen sexuellen Missbrauch, also vor sexualisierter Vormacht und sexualisierter Gewalt muss konsequent umgesetzt werden. Wir haben dazu die richtigen Gesetze, aber nicht genug Personal und Fachwissen an den wichtigen Stellen. Aber wir dürfen dabei sexuelle Erfahrungen und Entwicklungen gerade von Kindern und Jugendlichen nicht tabuisieren. Prüderie und Verklemmtheit schützt die Schutzbedürftigen nicht, sondern bringt sie um notwendige und wunderbare Erfahrungen ihrer Sexualität.
  • Vor uns liegen weitreichende Entscheidungen über das, was Reproduktionsmedizin in Zukunft darf und was nicht. Mit der Regelung der PID, an deren Zustandekommen im Bundestag ich beteiligt war, ist nur ein erster Schritt getan.

Ich bin sicher, dass pro familia sich in diese Debatten einbringen wird. Die Politik ist gut beraten, auf Ihren Sachverstand und Ihr leidenschaftliches Engagement zu hören.

Ihrer heutigen Fachtagung: „Sexuelle Kulturen – Sexuelle Bildung in Institutionen“ wünsche ich einen erfolgreichen Verlauf. Die Themen sind wichtig und höchst aktuell. Speisen Sie die gewonnenen Erkenntnisse recht bald in den öffentlichen Diskurs über diese Themen ein.

Ich bedanke mich für die Einladung und für die Gelegenheit, zu Ihnen sprechen zu dürfen.

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